Ab 1830 erlebt die Uhrenindustrie im Berner Jura einen Aufschwung. Vom St. Immertal aus erstreckt sie sich innerhalb weniger Jahrzehnte über die gesamte Region.
Die Herstellung zahlreicher Uhrenkomponenten führt rasch zur Entwicklung weiterer damit verbundener Industriezweige: Ab 1880 entstehen namentlich in Moutier die eigentliche Décolletageindustrie (Décolletage ist ein zerspanendes Fertigungsverfahren zur Herstellung von Drehteilen, wie Schrauben, Bolzen, Stiften usw., bei dem das Stab- oder Ringmaterial in die gewünschte Form gebracht wird, indem überflüssiges Material in Form von Spänen abgetragen wird) sowie die Fertigung von Drehautomaten und anderen Werkzeugmaschinen (z. B. Drehbänke).
Trotz zahlreicher Krisen hat sich diese Industrie bis heute gehalten. Strukturelle Anpassungen (z. B. Aufhebung von Heimarbeit und kleinen Werkstätten zugunsten der Fabrikarbeit) und technische Anpassungen (z. B. Assimilierung der Elektronik bei Quarzuhren oder CNC-Maschinen) haben es diesem Industriezweig erlaubt, der wirtschaftliche Hauptsektor der Region zu bleiben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten mehrere tausend Bernjurassier in diesem Industriebereich. Das Wissen und Können, das von einer Generation an die nächste weitergeben wurde, stellt für die Region einen unermesslichen Reichtum dar und erlaubt es, die produzierten Güter in die ganze Welt zu exportieren und stets innovativ zu bleiben (es wurden hunderte von Patenten angemeldet).
Die Uhren- und Décolletageindustrie hat den Berner Jura bis zum heutigen Tag in mehrfacher Hinsicht geprägt: Städtebau und Architektur, Vereinsleben, soziale Spannungen, Kapitaleinlagen, Zeiteinteilung (Uhrmacherferien), Wortschatz usw. Die Existenz sehr vieler Firmen, ihrer Arbeitskräfte, Patrons und Techniker stellt sicher, dass das technische Know-how fortbesteht. Ausserdem bilden zahlreiche regionale Schulen hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus. Und obwohl diese Industrien stark konjunkturabhängig sind, scheint ihr Know-how heute nicht mehr gefährdet, so dass sie vielmehr im Wachstum begriffen sind.
Was den Heimatschutz angeht, so kümmern sich einige Institutionen um die Bewahrung der Erinnerung an diese Industrialisierung (Museum der automatischen Drehmaschine in Moutier, "Mémoires d'Ici", jurassisches Archiv- und Wirtschaftsforschungszentrum "CEJARE" usw.). Doch zahlreiche Archive und alte Werkzeuge verdienen noch einen geeigneten Ort, wo sie konserviert werden können.
Ort: St-Imier, Moutier
Region: Seeland, Berner Jura
Kategorie: Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken
Trägerschaft: CEJARE – Centre jurassien d'archives et de recherches économiques
Diese Tradition ist auch auf der «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz» vertreten.